Geschichte

Es gibt wohl kaum eine Wurst, über die in der Schweiz während der letzten 100 Jahre so leidenschaftlich diskutiert worden ist wie über die Glarner Kalberwurst. Im Kanton Glarus selber war die Rezeptur der mit Brot angereicherten Brühwurst zu Beginn des 20. Jahrhunderts derart umstritten, dass man an der Landsgemeinde im Jahr 1920 den genauen Wurstinhalt per Gesetz definierte.

 

Der Streit

War man sich im Glarnerland einmal einig, musste der Kampf um den Wurstinhalt noch auf eidgenössischer Ebene ausgetragen werden. Das Problem war, dass das schweizerische Lebensmittelgesetz aus dem Jahre 1905 und die Lebensmittelverordnung aus dem Jahr 1936 die Zugabe von nicht-fleischlichen Bestandteilen zum Wurstbrät untersagte. Doch die Glarner Metzgermeister kämpften für ihre Extrawurst. Seit dem Jahr 1957 durften sie mit einer Sonderbewilligung auf ihrem Kantonsgebiet die Würste so herstellen, wie sie wollten - nach dem original Glarner Rezept.

Doch nicht nur der Bund, auch der Kalbswurstkonkurrent St. Gallen hatte etwas gegen die Glarner Version der Kalbswurst einzuwenden. Als dort im Jahr 1926 ein Polizist herausfand, dass das Brät in den Glarner Würsten mit Brot gestreckt wird, klagte er die Produzenten bei den Glarner Behörden ein. Diese wollten die ganze Sache juristisch klären, war in den Glarner Nachrichten, in einem ironischen Artikel zu lesen: „da sie ihr Leibgericht über alles schätzen und es auch nicht verunglimpfen lassen wollen; die St. Galler planen, wenn alle Stricke reissen, das Haager Schiedsgericht anzurufen, da sie eine unparteiische Beurteilung durch das Bundesgericht nicht mehr erwarten, seitdem sie erfahren haben, dass Mitglieder desselben hie und da sich dieses köstliche Gericht aus dem Tale der Linth kommen lassen.“

Der Glarner Kalberwurststreit hatte im Jahre 1992 endlich ein Ende. Seither erlaubt das neue schweizerische Lebensmittelgesetz das Beimischen von Brot zum Wurstbrät. Die Glarner können nun ihre Kalberwurst ganz legal geniessen. Überall in der Schweiz.

 

Der Beweis

Das älteste von uns gefundene schriftliche Zeugnis, dass im Kanton Glarus die Kalberwurst hergestellt wird, ist gut 150 Jahre alt. In der Beschreibung „Der Kanton Glarus“ aus dem Jahr 1846 erwähnen die Autoren die Kalberwurst schon als „dem Glarnerland eigentümlich“.

Die Tradition

Die Kalberwurst war schon im 19. Jahrhundert ein Festtagsessen. Zusammen mit Kartoffelstock und gedörrten und gekochten Zwetschgen ist sie bis heute das traditionelle Landsgemeindemenü. Ihr Verkauf nimmt vor dem Landsgemeindesonntag deutlich zu, denn sowohl in den Privathaushalten als auch in den Gasthäusern wird die Spezialität gekocht.

 

Das Rezept

Die gängige Erklärung für die Entstehung des speziellen Rezeptes ist, dass man in Glarus während den Hungerjahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Fleisch, welches Mangelware war, mit altem Brot streckte. Somit wäre die Glarner Kalberwurst aus der Not geboren worden. Da die grossen Krisen im 19. Jahrhundert jedoch Getreidekrisen waren und gerade Weissbrot damals unerschwinglich war, ist diese Entstehungsgeschichte eher unwahrscheinlich. Der Zusatz von Weissbrot, Ei und Milch deutet vielmehr auf eine Glarner Luxusvariante der Kalbswurst hin. Auch im oben erwähnten Buch "Der Kanton Glarus" loben die Autoren die Ernährungsbedingungen der Fabrikbevölkerung und des Mittelstandes in den grösseren Glarner Ortschaften. Mindestens einmal in der Woche komme da Fleisch auf den Tisch.

Bewiesen ist jedoch nichts. Möglicherweise entsprang die spezielle Rezeptur auch einfach der Fantasie eines findigen Glarner Metzgermeisters. Und abgesehen davon ist es nicht ungewöhnlich, das Wurstfleisch mit nicht-fleischlichen Zutaten zu mischen, respektive zu strecken. In Graubünden werden auch Kartoffeln verwurstet, im gemüsereichen Wallis Randen.

 
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Gut zu wissen

Sogar in den USA gibt es Glarner Kalberwürste! Im dem von Glarner Auswanderern im Jahr 1845 gegründeten Ort New Glarus im Bundesstaat Wisconsin ist die Glarner Spezialität auch seit einigen Jahren erhältlich. Die Metzgerei Hoesly’s Meats in New Glarus erzeugt sie als Old World Sausages. Hoeslys Eltern wanderten von Glarus nach New Glarus aus und begannen dort Schweizer Fleischspezialitäten herzustellen. Diese Würste dürfen nun an keinem typical swiss dinner im New Glarus Hotel fehlen!